Wer hat nicht schon davon geträumt, die Wohnung innerhalb von 10 Minuten tiptop zu haben. Aufräumen, saugen, abwaschen – alles leidige Hausarbeiten, die Zeit kosten. In einem Micro-Apartment herrscht dagegen im Handumdrehen wieder Ordnung: Das Bett verschwindet im Wandschrank, die Herdplatte in der Schublade und das Bügelbrett klappt im WC zur Seite. Abwaschen? Übernimmt der Geschirrspüler in der gemeinschaftlichen Kitchen-Lounge. Saugen? Ist auf 20 m² ruckzuck erledigt. Fertig ist die "Mini-Laube", die in Großstädten zur neuen Wohnform wird.
Minimalismus als Lebensmotto
In Single-Hochburgen wie New York, San Francisco und Vancouver, wo innerstädtisches Bauland knapp und Wohnen teuer ist, sind Micro-Apartments besonders bei jungen Leuten beliebt. Nicht nur, weil sie in der Regel preisgünstiger sind als die üblichen Wohnungsgrößen, sondern weil sie zudem ihrem digitalen Lebensstil entgegenkommen: Gewohnt wird zentral, gearbeitet im Co-Working-Space um die Ecke, im Kiez wird eingekauft und per Fahrrad ist man mobil.
Statt sich mit unnötigem Zeug zu belasten, werden Dinge geteilt und getauscht. Wirklich Wichtiges wird in die Datenwolke verstaut, wo es immer und von überall aus verfügbar ist. Das spart Platz und ist bequem. Wozu also überflüssige Quadratmeter? Vordenker dieser Lebensart ist der amerikanische Softwareingenieur Michael Kelly Sutton, der mit seinem "Cult of Less" vor einigen Jahren von sich Reden machte. Nun greift das Prinzip des "digitalen Minimalismus" auch auf den Wohnungsbau über.
60.000 Bewerber für 55 Miniflats in Manhattan
Das wohl spektakulärste Beispiel für Micro-Apartments ist aktuell "Carmel Place" in Manhattan, bei dem 55 Kleinstwohnungen zwischen 23 m² und 25 m² in Modulbauweise über- und hintereinander zu einer zehnstöckigen Blockrandbebauung gestapelt werden. Mit dem ungewöhnlichen Pilotprojekt erprobt die Stadt, wie sich bezahlbarer Wohnraum für die 1,8 Millionen Single- oder Zwei-Personen-Haushalte schaffen lässt, die im Big Apple eine Bleibe suchen. Und die Not ist groß: 60.000 Mietinteressenten haben sich um die 55 Miniflats beworben – ein Irrwitz. Doch bei 850 Euro Monatsmiete in dieser Lage muss man sein Glück einfach versuchen, auch wenn die Chance, eines der Miniflats zu ergattern, noch so gering ist.
Sollen Micro-Apartments zukünftig regulär errichtet werden, muss New York allerdings sein veraltetes Baurecht entrümpeln, das Wohnungen kleiner als 37 m² nicht erlaubt. Das Gesetz stammt aus den 1980iger Jahren, als die Familienförderung im Vordergrund der Wohnungsbaupolitik stand. Heute, wo sehr viele Alleinstehende in der Stadt leben bzw. nach New York ziehen, muss es auf ihre Bedürfnisse angepasst werden.
Neue Wohnformen gesucht
Auch in Deutschland sind Micro-Apartments auf dem Vormarsch. Denn wie in allen wohlhabenden Staaten, so steigt die Anzahl der Single-Haushalte hierzulande ebenso kontinuierlich. Mittlerweile wohnt fast jeder fünfte Einwohner Deutschlands allein, in Großstädten ist es sogar jeder Zweite. Längst beeinflusst der gesellschaftliche Wandel die Wohnkultur, und Architekten, Planer und Wohnungsgesellschaften forschen nach neuen Wohnimmobilientypen, die nachhaltiges und bezahlbares Wohnen vereinen.
Berlin ist Vorreiter
In Berlin, das in den nächsten 10 Jahren auf vier Millionen Einwohner einstellen muss,machen Studenten Micro-Apartments salonfähig. Bereits 2012 ist das "Q216" aus einem umgewandelten DDR-Bürogebäude in Lichtenberg entstanden. Wo einst gearbeitet wurde, wird heute in 400 Miniwohnungen studiert, gelebt und gefeiert. In Kreuzberg gibt es seit Ende 2012 das 212 Apartments umfassende "The Fizz", in Mitte ist neu das "Studio B" mit 390 Wohneinheiten an den Start gegangen und bis zum Wintersemester 2017 sollen in der Nähe des Mauerparks 700 Mini-Wohnungen unter dem Label "Cresco Urban Yurt" gebaut werden. Die Dinger gehen weg, wie warme Semmeln, so groß ist die Nachfrage. Und 391 Euro für ein Apartment in einer Weltmetropole ist auch nicht teuer, wenn man die Mietpreise miteinander vergleicht.
Bislang noch mehr Fragen als Antworten
Noch suchen Immobilienexperten nach einer schlüssigen Definition, mit der sie den neuen Trend einordnen können.
- Wer nutzt Micro-Wohnungen heute und in Zukunft?
- Sind es lediglich Studenten oder auch andere Mietergruppen?
- Eignen sich Miniflats für den Daueraufenthalt oder werden sie überwiegend temporär genutzt? * Welche Ansprüche an einen Wohnservice ergeben sich unter Umständen, wenn Dinge, die bisher im Privaten erledigt wurden, in die Gemeinschaft verlagert werden?
- Und wie verhalten sich die Baukosten für Micro-Apartments im Vergleich zu denen für "Normalwohnungen"? Sind sie wirklich geringer?
Fragen, die gerade im learning-by-doing beantwortet werden.
Billy muss draußen bleiben
Nicht zuletzt ist** Micro-Wohnen** auch eine Herausforderung für das Möbeldesign, denn auf 19 m² führen Billy & Co. zu Platzangst. Das Gemeinschaftsprojekt "Schrankhaus" der Fachhochschule Potsdam und der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde zeigte auf der diesjährigen Möbelmesse IMM Cologne, wie eine Synthese aus Architektur und Möbel aussehen kann: Funktional und elegant zugleich, vielleicht aber auch etwas unpersönlich. So oder so ist die Verstädterung und Digitalisierung im Begriff, das bisherige Wohnen radikal zu verändern - Micro-Apartments sind erst der Anfang.
Quellen:
- Text: Dagmar Hotze
- Bild: Simone Mescolini / Shutterstock.com