Seit 30 bis 35 Jahren sind die Zinsen, die Sparer für Geldanlagen erhalten, mehr oder weniger kontinuierlich gesunken. Der Diskontsatz der deutschen Bundesbank als Vorgängerin der EZB lag 1980 bei 7,50 Prozent, sank danach bis 1988 auf 2,50 Prozent und erhöhte sich aufgrund der Wiedervereinigung noch einmal bis auf 8,75 Prozent, bevor der stete Rückgang des Leitzinssatzes einsetzte. Die Zinssenkungen wurden durch die Wirtschaftskrisen aufgrund der Dotcom-Blase 2000 und die große Subprime-Finanzkrise 2007?08 beschleunigt. Davon profitierten Investoren bei den Hypothekenzinsen: Eigentlich ging es die letzten 35 Jahre bei den Baugeldzinsen immer bergab. Nach der Wiedervereinigung gab es eine kurze und kräftige Erhöhung um 2,5 Prozentpunkte und seitdem wurden die Bauzinsen immer billiger.
Wovon hängen die Zinsen ab?
Die Marktzinsen hängen von der Höhe des Leitzinses ab. Der Leitzins ist der so genannte Hauptrefinanzierungssatz. Zu diesem Zinssatz bekommen die Geschäftsbanken Geld von der Europäischen Zentralbank (EZB) geliehen. Die Interbankensätze wie Eonia und Euribor für den Geldhandel zwischen Geschäftsbanken reagieren sehr stark auf Veränderungen des Leitzinsniveaus.
Die Interbankenzinsen vom Geldmarkt haben großen Einfluss auf die Entwicklung der Marktzinsen für Unternehmen und Verbraucher. Die Verzinsung für kurzfristige Geldanlagen ist unmittelbar an das Niveau des Leitzinses gebunden. Die mittel- bis langfristigen Renditen von Geldanlagen hängen vom Durchschnittszins langfristiger Staatsanleihen - der Umlaufrendite - ab, der als Referenzzins dient. Er bildet sich durch Angebot und Nachfrage auf dem Kapitalmarkt, die durch Erwartungen an das Wirtschaftswachstum und die Inflation zustande kommen. Die Zinsen für Einlagen und Anleihen sind somit vor allem von der konjunkturellen und monetären Situation einer Volkswirtschaft abhängig.
Wer legt den Leitzins fest?
Der Leitzins ist ein wichtiger Teil der Geldpolitik der Zentralbank und wird auf ihren turnusmäßigen Sitzungen bestimmt, in Europa ist die EZB das oberste Geld- und Währungsinstitut. Bei ihrer Zinsentscheidung richten sich die Notenbanker nach den ökonomischen Kennziffern der Volkswirtschaft(en):
- Wie wachsen Export, Import und die Geldmenge?
- Auf welchem Niveau befinden sich der Wechselkurs und Konjunktur- bzw. Preisindizes?
- Sind die Wachstumsaussichten für die Wirtschaft gut oder trüben sie sich ein?
- Wie hoch ist die Inflationsrate? Ist mit steigender Inflation oder Deflation zu rechnen?
Dies müssen die Notenbanker verantwortungsbewusst für die Zukunft einschätzen, denn der Leitzins beeinflusst nicht nur Geldanlagen, sondern auch die KapitalkostenDaraus leitet sich ab, zu welchem Zinssatz Investitionen mit Fremdkapital finanziert werden. Der Leitzins soll über die von den Banken an Unternehmen und Investoren ausgegebenen Kredite das Wachstum fördern oder bremsen. Die Unternehmen, denen über Darlehen, Aktien oder Anleihen neues Kapital zufließt, sollen es in neue Arbeitsplätze und Projekte investieren.
Die Geldmenge kann ebenso durch andere geldpolitische Maßnahmen der Notenbank gesteuert werden. Das können beispielsweise die Erhebung von Strafzinsen auf Einlagen der Geschäftsbanken bei der Zentralbank, der Ankauf von Bankanleihen oder Extrakredite für die Geldinstitute sein, die diese zusätzlichen Gelder zu Sonderkonditionen an die Wirtschaft weiterleiten sollen. Für Wirtschaftsteilnehmer geht es um die Frage: Ab welchem Zinsniveau lohnt es sich, Investitionen mit Krediten zu finanzieren anstatt Geld zu sparen.
Wie hoch der Zinssatz für Bankeinlagen und Darlehen tatsächlich ist, hängt auch von der Konkurrenzsituation im Bankgewerbe und der betriebswirtschaftlichen Lage der Institute ab. Die Zinsen für langfristige Anleihen sind in erster Linie von der Einschätzung des Risikos definiert. Mit welcher Wahrscheinlichkeit wird der Emittent der Anleihe das Kapital des Anlegers zurückzahlen? Wie bewerten Anleger oder Ratingagenturen die Rückzahlungsfähigkeit des Emittenten? Der Zins ist der Ausgleich für das Risiko, das die Käufer der Anleihe eingehen.
Warum sind die Zinsen so extrem niedrig?
Nach der großen Finanzkrise war es notwendig, den Geldfluss zwischen den Banken wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten. Da das Vertrauen in Banken und zwischen den Geldinstituten verloren gegangen war, musste die Geldpolitik der EZB eingreifen und die Kreditierung durch Zinssenkungen stimulieren. Die ersten Zinsreduzierungen reichten für eine Normalisierung des Wirtschaftskreislaufs nicht aus. Hinzu kamen die Auswirkungen der restriktiven Zinspolitik in den USA, Japan und weiten Teilen der Welt. So wurden die Leitzinsen schrittweise bis auf das heutige Niveau von 0,05 Prozent gesenkt. Es kam zu einer exorbitanten Ausweitung der Verschuldung in vielen Bereichen. Ziel dieser geldpolitischen Stimulierung ist nach wie vor eine höhere Teuerungsrate. Damit sinkt der Geldwert der Verbindlichkeiten. Das hilft Kreditnehmern, weil dadurch der reale Wert ihrer Schulden abnimmt.
Die EZB beeinflusst darüber hinaus die Höhe der langfristigen Zinsen durch den Ankauf von Staatsanleihen. Diese gelten praktisch als risikolos, weil sie theoretisch nicht ausfallgefährdet sind. Je mehr Staatsanleihen die EZB am Markt aufkauft, desto niedriger wird das Zinsniveau, da die Kurse der Anleihen wegen der Nachfragezunahme steigen. Anleger bewerten beispielsweise deutsche Staatsanleihen als risikolos, deren Ausfallwahrscheinlichkeit beträgt nahezu null. Deshalb muss der Bund keine Zinsen an Investoren zahlen, im Gegenteil, er kann sogar Zinsen für den Kauf seiner Anleihen verlangen.
Warum wirkt die Niedrigzinspolitik nicht?
Bis heute ist es der EZB nicht gelungen, durch ihre Niedrigzinspolitik die gewünschte Inflationsrate von zwei Prozent und ein adäquates Wirtschaftswachstum zu erreichen. Das liegt daran, dass die Bevölkerung in Europa schrumpft und immer älter wird, bei Konsum- und Wirtschaftsgütern ein Sättigungsgrad erreicht ist und andere Ziele wie Nachhaltigkeit und Ethik wichtiger werden. Die niedrige Inflationsrate beruht auf einem länger währenden Ölpreisrückgang, der wiederum auf globale Wachstumsschwäche und Angebotsüberschüsse auf dem Markt zurückzuführen ist. Hinzu kommt ein weltweiter Währungsabwertungswettlauf. Nicht zuletzt hat die Verschuldung von Unternehmen und Verbrauchern Ausmaße erreicht, die ein unbegrenztes Kreditwachstum unmöglich machen. Die Staaten bewegen sich an der Grenze einer verkraftbaren Schuldenlast. Außerdem nivelliert der Euro zwar die Zinsen auf ein einheitliches Niveau, nicht jedoch die Wirtschaftskraft der Länder. Von der Abwertung des Euro profitieren exportstarke Länder wie Deutschland am meisten, für die eigentlich ein höheres Leitzinsniveau angemessen wäre.
Welche Folgen hat die Niedrigzinsphase?
Niedrige Zinsen haben auf Gläubiger und Schuldner unterschiedliche Auswirkungen. Die Sparquote sinkt, weil es sich angeblich nicht mehr lohnt, zu sparen. Dazu trägt der geringe Zinseszinseffekt bei der längerfristigen Altersvorsorge bei. Eine unmittelbare Folge davon ist, dass Konsumwünsche sofort realisiert und nicht mehr in die Zukunft verschoben werden. Durch die Bankenkrise haben Bargeld und sichere sowie liquide Anlagen an Bedeutung gewonnen.
Darlehensnehmer werden durch die niedrigen Zinsen verleitet, sich immer höher zu verschulden, bis ein unvertretbarer Stand erreicht ist. Es wird ein Anreiz geschaffen, alte Schulden durch neue, „günstigere“ Schulden abzulösen. Durch die niedrigen Zinsen werden die Risiken neu bewertet. Wenn mit sicheren Anlagen keine positive Rendite zu erreichen ist, müssen höhere Risiken eingegangen werden, um mehr Gewinn zu erzielen. Dadurch kommt es zu Fehlleitungen von Anlagegeldern. So stiegen in den letzten Jahren die Preise von Aktien sowie Immobilien in ausgewählten Lagen. Das billige Geld suchte sich nicht in erster Linie seinen Weg in neue produktive Kredite, sondern schuf Vermögenspreisblasen bei Aktien und Immobilien. Die Suche nach Sachwerten als Inflationsvorsorge hält unvermindert an. Überdies werden Investitionen finanziert, die bei normalem Zinsniveau ökonomisch nicht sinnvoll wären. Diese Projekte rechnen sich nur aufgrund der niedrigen Verzinsung. So wird der Boden für Insolvenzen und Kursverluste bereitet, sobald die Zinsen ansteigen. Staaten werden verleitet, ihren Sparkurs zur Haushaltskonsolidierung aufzugeben und wachsende Schuldenberge anzuhäufen. Zudem verschlechtert sich die Ertragslage von Banken und Versicherungen durch die Niedrigzinsen signifikant, was wiederum auf die Sparzinsen drückt.
Fazit
Die Zinsen könnten in den nächsten Jahren sehr niedrig bleiben oder sogar ein negatives Niveau erreichen. In Europa droht eine Spirale aus weiter wachsenden Schulden und Nullzinsen. Die EZB hat kaum noch Spielraum, mit ihrer Geldpolitik das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Sie steht vor der Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das Vertrauen in die Geldwertstabilität nicht verloren geht.