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Jetzt, wo sie fertig ist, ist die Freude über die Elbphilharmonie groß. Ein kultureller Leuchtturm mit internationaler Strahlkraft sei geschaffen worden. Ein Konzerthaus der architektonischen Extraklasse. Ein Highlight der Ingenieurskunst. So euphorisch waren die Kommentare der am Bau Beteiligten während der fast 14-jährigen Planungs- und Bauzeit nicht. Denn eigentlich sollte die "Elphi" bereits 2010 eröffnet werden. Doch es dauerte bis Januar 2017. Eigentlich sollte sie 77 Millionen Euro kosten. Geworden sind es 789 Millionen Euro. Viel ist darüber spekuliert und gestritten worden, wann wo wem welche Fehler passiert sind und ob und wie man sie hätte vermeiden können. Im Nachhinein lässt sich vollständige Transparenz jedoch kaum mehr herstellen. Dazu sind die Abläufe zu komplex und die Menge der Beteiligten zu groß.
Zoff gibt es auch auf einer anderen Großbaustelle: Der des Flughafen Berlin Brandenburg. Auch dort sind Bauzeit und Kosten seit dem ersten Spatentisch im September 2006 völlig aus dem Ruder gelaufen. Eröffnen sollte er in 2012 und kosten rund 2 Milliarden Euro. Mittlerweile ist von einem "Milliardengrab" die Rede, mit Nachträgen in siebenstelliger Höhe. Ob der Flughafen tatsächlich Mitte 2018 seinen Betrieb aufnehmen wird, ist nach wie vor unklar. Im Ausland schmunzelt man derweil über die Pleiten-Pech-und-Pannen-Planung.
Erst wird virtuell geplant, dann real gebaut
Mit Building Information Modeling (kurz BIM) soll das Chaos bei öffentlichen Großbauprojekten in Deutschland ein Ende haben. Um kostspielige Fehlerteufel zu vermeiden, möchte das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVi), dass öffentliche Hoch- und Tiefbauvorhaben zukünftig erst digital geplant und dann gebaut werden. Am Computer wird also zunächst die Ausführung inklusive aller späteren Funktionalitäten bis ins kleinste Detail simuliert und geprüft. Erst wenn die digitale Planung abgeschlossen ist, wird mit dem Bau begonnen - nicht vorher.
BIM hat viele Vorteile: Die Zusammenarbeit zwischen Planern, Ausführenden und Auftraggeber wird interdisziplinärer und dank cloudbasiertem Arbeiten sind Informationen über Konstruktion und Baumaterialien für jeden überall und zu jeder Zeit verfügbar. Zudem werden Bauzeiten und Kosten transparent. Ein höchst nützlicher Zusatzeffekt ist außerdem die exakte Visualisierung. Durch die realistische Abbildung des Bauwerks in seiner Umgebung lässt sich dessen Umweltwirkung beispielsweise besser feststellen. Verschattung und Sonneneinstrahlung können genau gemessen werden, so dass auf Basis der ermittelten Daten etwa ein solares Energiekonzept entwickelt werden kann. Ebenfalls leichter wird die Kommunikation mit dem Auftraggeber und der Öffentlichkeit. Denn was man sieht, ist einfacher zu verstehen.
Stufenplan für Digitales Bauen und Planen
Im Dezember 2015 wurde vom BMVi der "Stufenplan Digitales Bauen und Planen" vorgelegt, der sich sowohl an öffentliche Auftraggeber als auch an Auftragnehmer richtet. Darin definiert werden die Anforderungen, die auf die Beteiligten entlang der Wertschöpfungskette Planen, Bauen und Betreiben zukommen. Um erste Praxiserfahrung mit der digitalen Planung zu bekommen, wurden einige Tiefbau-Pilotprojekte einschließlich wissenschaftlicher Forschungsbegleitung gefördert, darunter der Tunnelrohbau in Rastatt, der Ersatzneubau der Petersdorfer Brücke in Mecklenburg-Vorpommern und der Neubau der Talbrücke Auenbach bei Chemnitz. Die im Januar 2017 präsentierten Ergebnisse sind ermutigend: So berichten alle involvierten Ingenieurbüros von einer merklichen Effizienzsteigerung und einer verbesserten Prozessqualität. Mitte 2017 beginnt nun die erweiterte Pilotphase, bei der insbesondere die Ertüchtigung von Liegenschaften der Deutschen Bahn im Fokus stehen sowie Infrastrukturmaßnahmen im Bereich Schiene. Anhand von bundesweit 13 BIM-Projekten wird getestet, wie mit Hilfe von BIM mehr Planungs- und Kostensicherheit erreicht werden kann. Rund 20 Millionen Euro lässt sich der Bund das kosten. 9 Millionen Euro investiert die DB aus Eigenmitteln.
Grundsätzlich sieht das BIM-Szenario 2020 des BMVi vor, dass bis dahin alle zuvor analogen Prozesse durch digitale Abläufe ersetzt worden sind, damit eine erhöhte Planungsgenauigkeit, Termin- und Kostensicherheit gewährleistet ist, mehr Transparenz und Kontrolle herrscht, eine Optimierung der Kosten im Lebenszyklus erreichbar ist und darüber hinaus eine Beschleunigung der Prüfungs- und Genehmigungsverfahren erzielt wurde. Ein äußerst sportlicher Zeitplan, angesichts dessen, dass sich viele Unternehmen der Bau- und Immobilienwirtschaft beim Thema Digitalisierung erst am Anfang befinden.
BIM in Europa auf dem Vormarsch
Ursprünglich stammt der Begriff BIM vom amerikanischen Softwarehersteller Autodesk, der seit den 1980iger Jahren Programme für dreidimensionale, computergestützte Gebäudemodelle für die Bereiche Architektur und Gebäudetechnik im Hoch- und Tiefbau entwickelt. Mittlerweile bietet auch der in München beheimatete Global Player für Architektursoftware Nemetschek BIM-Lösungen an. Darüber hinaus engagiert sich die internationale Organisation buildingSMART für eine herstellerneutrale Open BIM-Variante.
In den USA, Großbritannien, Skandinavien und den Niederlanden wird die digitale Planungsmethode längst bei öffentlichen Bauvorhaben angewendet. In Finnland etwa existieren seit März 2012 verbindliche Richtlinien für die Nutzung von BIM. Spitzenreiter innerhalb der EU sind laut Architektur-Barometer 2015 die Niederlande und Großbritannien, wo 56 % bzw. 36 % der Architekturbüros BIM nutzen. In Frankreich sind es immerhin 20 Prozent. Als besonders positiv wird die Schnelligkeit gesehen, mit der die Planung vonstatten geht. Was früher Wochen dauerte, lässt sich mit BIM in wenigen Tagen erledigen. Einfacher geworden sei zudem die Kommunikation zwischen den Partnern. Obendrein bestehe mehr Datentransparenz, was zur Kostensicherheit beitrage.
Mehr Möglichkeiten durch digitale Planung
In Kopenhagen befindet sich derzeit das jüngste Vorzeigeprojekt digitaler Planung in Europa in der Fertigstellung: Mit dem Kraftwerk Amager Bakke, entworfen von Stararchitekt Bjarke Ingels, entsteht eine der modernsten Heizanlagen des Kontinents. Jährlich soll sie 400.000 Tonnen Haushaltsmüll in Energie umwandeln und so 50.000 Haushalte mit Strom und 120.000 Haushalte mit Wärme versorgen. Der Clou: Vom Dach des Kraftwerks führt eine 1,5 Kilometer lange Skipiste hinunter in das Viertel Christianshavn und eine Aussichtsplattform in 85 Meter Höhe sorgt für spektakuläre Blicke auf Kopenhagen und den Öresund. So vereint das Gebäude zwei Nutzungen: Einerseits ist es Kraftwerk, andererseits dient es als Sport- und Freizeitanlage und lockt Touristen an.
Ohnehin ist das von Ingels gegründete Architekturbüro BIG international für seine Experimentierfreunde bekannt, wenn es darum geht, Architektur und Nachhaltigkeit auf atemberaubende Weise miteinander zu kombinieren. Im Frankfurter Bankenviertel entsteht gerade der vom ihm entworfene "Ominturm", ein multifunktionales Hochhaus mit über 180 Metern Höhe und fast 54.000 m² Fläche für Büros und Wohnungen. Auch was den Einsatz digitaler Technologien im Planungsprozess angeht, ist BIG ein Pionier. "What we are trying to do is create what we call a BIM Environment. The goal of the BIM Environment at BIG is to fundamentally stay open and agile, to be able to try out all these new tools. It’s more a question of how to aid our architecture and to think information as much as we think design." erläutert BIM-Manager Jakob Andreassen den Umgang.
Auch private Bauherren werden BIM wollen
Erste Auszeichnungen für herausragende mit BIM geplante und realisierte Bauprojekte gibt es bereits: Seit Ende 2016 vergibt das BIM Cluster Stuttgart, ein Zusammenschluss namhafter Unternehmen aus der Bau- und Immobilienwirtschaft, den BIM AWARD Zudem schreibt die eingangs erwähnte Organisation buildingSMART alle zwei Jahre einen internationalen Wettbewerb für BIM-Projekte aus.
Noch ist ein digitaler Planungs- und Bauprozess ein Novum in der Bau- und Immobilienbranche. Doch dass die Planung mit BIM in Zukunft verbindlich für öffentliche Bauvorhaben sein wird, davon gehen Branchenkenner aus. Und es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis auch private Bauherren die Vorteile digitalen Planens und Bauens erkennen, um auf der sicheren Seite zu sein. Zwar bauen sie weder Konzertsaal noch Flughafen, aber ein größeres Anlageobjekt vorab bezüglich Kosten und Rendite im Detail prüfen und kalkulieren zu können, ist ebenso wichtig, wie die volle Kontrolle über ein Großbauprojekt zu haben. Wer sich auf unterhaltsame Weise über BIM informieren möchte, für den bietet das Buch "BIM - Das digitale Miteinander" interessante Einblicke.
Zusammenfassung
- Mit Building Information Modeling (BIM) soll die Planung bei öffentlichen Großbauprojekten transparenter sein.
- BIM hat viele Vorteile: Bessere Zusammenarbeit zwischen Planern, Ausführenden und Auftraggeber, Transparenz durch real-time Informationen über Konstruktion, Baumaterialien, Bauzeiten und Kosten, exaktere Visualisierung des Projekts usw.
- In vielen Ländern wie USA, Großbritannien, und den Niederlanden wird die digitale Planungsmethode schon längst bei öffentlichen Bauvorhaben angewendet.
- BIM ermöglicht die Möglichkeit, komplexere Projekte zu planen.
- Nicht nur die Öffentlichen sondern auch die privaten Bauherren werden BIM wollen.
Quellen:
- Dagmar Hotze, Hamburg
- Bild: Shutterstock.com